Eigenschaften der Kompetenzerwartung

Wie konnte die Kompetenzerwartung zum wichtigsten Konstrukt in der psychologischen Forschungsgeschichte werden? Es folgt ein kurzer historischen Abriss und einer grundlegende Neuinterpretation.

Wenn man heute Kompetenzerwartung oder Selbstwirksamkeit (self-efficacy) als Suchwort in wissenschaftliche Datenbanken eingibt, etwa bei Google Scholar erhält aktuell weit über 3.000.000 Treffer. Und es ist wirklich erstaunlich, welchen Einfluss dieses Konstrukt auf das menschliche Lernen und Handeln hat. Ob es um Umwelthandeln, Sport, schulisches Lernen oder berufliches Engagement geht, immer ist die Kompetenzerwartung eines der wichtigsten Konstrukte, die solches Handeln hervor sagen kann.

Warum ist die Kompetenzerwartung so wirkmächtig?

Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir eine kurze Zeitreise in die 60er-Jahre unternehmen. Die empirische Psychologie stand damals noch ganz im Zeichen des Behaviorismus. Insbesondere eine seiner bekanntesten Vertreter, der der amerikanische Psychologe Burrhous F. Skinner war der Meinung mit Assoziationsketten das gesamte menschliche Verhalten zu erklären. Siehe BLOG: (LINK)

Lernen und Handeln konnte aus dieser Perspektive vollständig durch Belohnung und Bestrafung erklärt werden. Das subjektive Erleben des Einzelnen spielte keine Rolle und wurde im Sinne einer Black Box für unerforschbar erklärt. Menschliche Handlungs- und Lernprozesse waren für Skinner durch geschickte Verstärkerpläne vollständig von außen steuerbar.

Die behavioristische Außenperspektive hat nun Albrecht Bandura um eine – wenn auch begrenzte – Innenperspektive ergänzt. Was wäre, wenn jeder sich selber als Verursacher einer Außerbelohnung betrachten könnte? Wenn ich durch eine von mir selber durchgeführte Handlung ein solches Ergebnis hervorrufen könnte? Wenn ich „selbst wirksam“ wäre?

Bandura hat die Selbstwirksamkeit vor allem als eine Erwartung verstanden und überprüfte dies in einfachen experimentellen Settings etwa zur Schlangenphobie Bandura, Adams & Beyer (1977). [Eine kritische Einordnung finden sich bei Holzkamp (1993), S.100]

Dabei werden die Entwicklungs- und Entstehungsgeschichten dieser Schlangenphobien vollständig ignoriert und fertig in das Lernexperiment eingeführt (Holzkamp, 1993. S. 109). Zudem untersucht Bandura in diesem Experiment einen Spezialfall, denn die Angst vor Schlangen impliziert eine sehr niedrige Selbstwirksamkeitserwartung im Umgang mit Schlangen. Diese Ausgangskonstellation lädt gerade zu einer rein kognitivistischen Interpretation der Selbstwirksamkeit ein: als einfache Aneinanderreihung positiver Erfahrungen, die eine entsprechende Erwartung steigen lassen.

Wenn wir uns allerdings von einer lebensweltlichen Perspektive nähern und annehmen, dass die Selbstwirksamkeit über eine gewisse Zeitspanne hinweg gereift ist, so gibt sich ein ganz anderes Bild: zahlreiche Erfahrungen mit einer spezifischen Handlung ergeben ein Geflecht, das mehr oder weniger mit dem Selbsterleben verknüpft ist.

Hierbei lassen sich mindestens drei Dimensionen unterscheiden:

  • Sind die gemachten Erfahrungen einander ähnlich
  • Haben die gemachten Erfahrungen zu einem positiven Handlungsergebnis geführt (oder zu einem negativen)?
  • Waren die Handlungsumstände einander ähnlich (etwa ähnliche Handlungsprozesse, oder ähnliche Bedingungen der physischen oder psychischen Umwelt.
  • Wie stark wurden die gemachten Erfahrungen mit meinen Selbstprozessen verknüpft?

Es ist die besondere Qualität dieser Vernetztheit, die eine Prognose auf eine zukünftige Handlungs- und Lernregulation zulässt. Diese „Vernetzungsqualität“ geht weit über eine reine Erwartungskognition hinaus, deshalb könnten wir das Konstrukt auch „Selbstwirksamkeitsgefühl“ nennen.

Wie könnte ein starkes Gefühl der Selbstwirksamkeit entstehen?

Gemäß der oben formulierten Vernetzungshypothese könnten wenige aber besonders gut gelungene Handlungen zu einem starken Gefühl der Selbstwirksamkeit führen. Insbesondere dann, wenn in einer sehr spezifischen Umweltsituation eine spezifische Handlung zu einem sehr angenehmen Handlungsergebnis geführt hat und diese spezifische Handlung im Selbst verankert ist. Diese große spezifische Selbstwirksamkeit kann natürlich nur dann wirksam werden, wenn zukünftige Umweltsituationen wieder sehr ähnliche Herausforderungen mit sich bringen, auf die dann genau diese spezifische Handlung wieder passt. Eine große Schwierigkeit in der Handlungsregulation ist es, genau diese Umwelt- und Problemspezifität genau zu erfassen. Ist das neue Problem ähnlich oder unähnlich? Der potentiell Handelnde hat zwar positive Erfahrungen gemacht, aber eben noch nicht besonders viele.

Auf der Grundlage von vielen Erfahrungen die in ähnlichen Handlungskontexten gemacht wurden, kann sich eine stabile Selbstwirksamkeit entwickeln. Etwa als Experte in einem Berufsfeld kann ich davon ausgehen, dass ich auch in Zukunft in der Lage sein werde, erfolgreiche, problemlösende Handlungen durchzuführen. Ich kann auf ein breites Netz von Handlungserfahrungen zurückgreifen, die mir bei strukturell ähnlichen Problemlagen helfen können. Zudem werde ich bereit sein, meinen Handlungsversuche über einen längeren Zeitraum fortzusetzen und mit möglichen Rückschlägen leichter umgehen können.

Umgekehrt werde ich in Handlungs­feldern, in denen ich in der Vergangenheit viele Fehlschläge erlebt habe, meine Kompetenzerwartung entsprechend anpassen und verringern.

Die über die verschiedenen Handlungserfahrungen gebildete Kompetenzerwartung (und das dazugehörige Kompetenzgefühl) kann dann dysfunktional werden, wenn die Handlungskontexte sich strukturell so verändern, dass die eigentliche Handlung es eigentlich nicht mehr angewendet werden kann. Im Falle einer zu hoch eingeschätzten Selbstwirksamkeit könnte dies zu katastrophalen Resultaten führen, etwa wenn Piloten mit einer zu stark veränderten Steuerungssoftware nicht mehr klarkommen. Im Falle einer Unterschätzung wird man auch dann untätig bleiben, wenn man eigentlich schon wieder handlungs­fähig wäre. Die Unterschätzung des eigenen Selbstwirksamkeit sollte häufig unbemerkt sein: Handlungsfelder, in deren ich mich selber als wenig wirksam wahrnehme, werden durch geringes oder sinkendes Interesse sicherlich weniger auf strukturelle Veränderungen hin überwacht.

Dies ist ein ergänzender Blog-Beitrag zum Buch:

Martens, T. (2024). Pädagogische Psychologie. Ein Überblick für Psychologiestudierende und -interessierte. Springer. https://www.doi.org/10.1007/978-3-662-69810-5

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