Vorweg muss klargestellt werden, dass Verdrängungsprozesse für das tägliche Leben sehr wichtig sind. Die meisten Menschen in Deutschland leben in einer relativ sicheren Umwelt, aber diese ist auch nicht völlig ungefährlich. Etwa die tägliche Teilnahme am Straßenverkehr kann tödliche Folgen haben. Solche besonders bedrohlichen Folgen müssen verdrängt werden, damit wir im täglichen Leben handlungsfähig bleiben können. Nach Kuhl (2001), S. 195ff, können mindestens 4 typische Verdrängungsprozesse unterschieden werden: (siehe Abbildung 1)

Abbildung 1. Verdrängungsprozesse sensu Kuhl (2001)
1. Ausweichen
Damit ist in einer sehr frühen Phase das Ausweichen in den positiven Affekt gemeint. Ein negativer Affekt, etwa eine mögliche Bedrohung, wird weitgehend vorbewusst und automatisch in einen positiven Affekt verwandelt. Diese Verdrängungsform birgt das Potential für eine Generalisierung auf unterschiedliche negative Affektlagen. Mehr und mehr mögliche Bedrohungslagen werden weggelacht und bagatellisiert.
Vorbemerkung: die nachfolgenden Verdrängungsformen werden idealtypisch beschrieben und können in Quantität und Qualität sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Eine systematische Untersuchung dieser Verdrängungsprozesse wäre sehr, sehr aufwändig, da die eigene Einsichtsfähigkeit und Introspektion dieser Phänomene stark eingeschränkt ist. Etwa müssten Selbstberichte mit anderen Datenquellen trianguliert werden, etwa durch Elektroenzephalografie (EEG).
2. Herabregulierung
Negative Hinweisreize werden nach einer kurzen Prüfung in einem frühen Stadium nicht mehr weiterverarbeitet und der begleitende negative Affekt wird herabreguliert. Diese. Verdrängungsform wird vor allem bei wiederkehrenden Handlungsmustern angewendet – etwa bei gesundheitsschädlichen Handlungen: es ist einem eigentlich bewusst, dass das Rauchen einer Zigarette der eigenen Gesundheit schadet, aber es wird dann trotzdem geraucht und mögliche Gesundheitsängste in Bezug auf das Rauchen werden herabreguliert. Es findet hierbei keine Integration der negativen Informationen in das Selbst statt, es wird z.B. nicht über alternative Verhaltensweisen nachgedacht, die möglicherweise weniger gesundheitsschädlich sein könnten.
3. Unterdrückung
Das empfinden von negativen Affekten wird durch die starke Aktivierung des Intentionsgedächtnis unterdrückt, etwa indem etwa negative Erlebnisse rational erklärt oder beschrieben werden. Das Intentionsgedächtnis unterdrückt das Selbsterleben und führt nachfolgend zu einer emotionalen Verflachung. Diese Form der Selbstunterdrückung muss dauerhaft aufrechterhalten werden und ist deshalb anstrengend.
4. Sensibilisierung und Abspaltung
Hoch negative Erlebnisse können sehr schlecht verarbeitet werden. Die negative Affektaufladung verhindert die Selbstberuhigung und blockiert die Integration in das Extensionsgedächtnis. Die negativen Erlebnisse werden stattdessen abgespalten und dissoziiert. Die fehlende Vernetzung zu anderen Gedächtnisinhalten erschwert das nachträgliche Auffinden. Das eigentliche negative Affekterleben wird eben nicht herabreguliert und bleibt hoch sensibel. Damit kann das Erlebte durch ähnliche Reizkonstellationen immer wieder reaktiviert werden und sogar zur posttraumatischen Belastungsstörung werden, wenn die Sensibilisierung immer weiter fortschreitet.
Literatur
Kuhl, J. (2001). Motivation und Persönlichkeit – Interaktionen psychischer Systeme. Hogrefe.
Dies ist ein ergänzender Blog-Beitrag zum Buch:
Martens, T. (2024). Pädagogische Psychologie. Ein Überblick für Psychologiestudierende und -interessierte. Springer. https://www.doi.org/10.1007/978-3-662-69810-5

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht-kommerziell – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz